Christina Lehnert — Catalogue text on the exhibition „Afterglow“
1822-Forum, Frankfurt am Main, 2019

 

Nach einem Besuch im Atelier der Künstlerin Jennifer Bannert scheint man plötzlich mehr wahrzunehmen: die Reflexionen in den Pfützen auf der Straße oder das Aufblitzen eines reflektierten Lichtstrahls durch ein sich bewegendes Fenster. Phänomene, die in einem Augenblick passieren und im nächsten wieder verschwunden sind oder unmittelbar anders erscheinen.

Ähnlich phänomenologisch sind auch Jennifer Bannerts Arbeiten der Ausstellung afterglow. Aus dem monochromen Dunkel der groben Leinwände scheint etwas zu schwelen, hinter semi-opaken Schleiern wird die Farbe gebannt und entrückt. Der Blick springt von einem Farbton zum anderen, nach vorn und zurück – sobald man meint, etwas fixiert zu haben, verschwimmt diese Errungenschaft zum flüchtigen Moment. Die Farben sind selten hell, sie sind dunkel und schwer. Die helleren Farbfelder sind wie Lichter, die wie Hoffnungsschimmer für Augenblicke im Dunkeln auftauchen.

Die Malereien sind nicht bloße Abstraktionen von Objekten, erfüllen keinen mimetischen Zweck. Vielleicht ist es vielmehr der Moment, bevor man etwas erkennt, den Jennifer Bannerts Werke darstellen. Was wäre, wenn die Gemälde, die auch in Verbindung zu den Fotografien der Künstlerin stehen, den Vorgang des Erkennens selbst festhalten wollten? Wenn sie also eine Art Schwebezustand evozieren, der nicht nur das Dargestellte, sondern auch den Moment der Rezeption bzw. die Suche des Betrachtenden beinhaltet? Genau wie ich den Ölfilm auf der Straßenpfütze betrachte, der nur festgehalten als Fotografie einen Zustand zeigen würde, genauso ephemer sind die vielen Momente in den Arbeiten der Künstlerin. Sie erfüllen zwar alle Voraussetzungen einer Ansicht: Rahmen, Leinwand und Farbe – scheinen sich aber einem Zustand zu entziehen.

Auch in der fotografischen Arbeit afterglow , nach der die Ausstellung benannt ist, führt Jennifer Bannert Unsicherheit und Offenheit zusammen: In den Nahaufnahmen der Fischhäute wiederholt sich der suchende Blick. Der naive Gedanke, durch vermeintliche Nähe zum Grund der Dinge zu gelangen, wird sofort durch die abwechselnden Modi von Erkennen und Verwerfen in der Betrachtung widerlegt: Ist vielleicht doch die Oberfläche der Erde dargestellt, der Ölfilm auf der Straße oder die Vergrößerung einer menschlichen Hand? Wie ein sgraffito durchziehen Risse scheinbarer Verletzungen die Fischhaut und bringen deren Feinheit zum Ausdruck. Sie zeigen die Lebendigkeit des Materials und erwecken in ihrer Schönheit und Verletzbarkeit ein seltsames Mitgefühl, wenn man denn um ihre Entstehung weiß.

Schärfe und Unschärfe, Licht und Dunkelheit sowie Mikro- und Makroperspektiven sind Werkzeuge und Themen der Malereien und Fotografien, die nicht nur ein Erkennen erschweren, sondern auch eine Vielzahl von Erkenntnissen ermöglichen. In der Betrachtung der Arbeiten Jennifer Bannerts stellt sich unweigerlich die Frage, ob es denn überhaupt eine richtige Distanz zu allem gibt?